ESPN hat angekündigt, nun auch beim eSport mitmischen zu wollen, doch kann das überhaupt funktionieren, nachdem der Sender den Sport immer wieder nicht für voll nahm?
Wer eSport hört, der denkt vermutlich nicht als erstes an ESPN. Ausgerechnet der Sender, der sich über die Jahre immer wieder herablassend über den eSport geäußert hat, will nun genau in dem Metier mitmischen. Wer ESPN kennt weiß, dass der Sender eine sehr große Auswahl hat und für Sportfans zumindest in den Vereinigten Staaten einen unabdingbaren Teil des Fernsehprogramms darstellt. Wer den eSport kennt, der weiß, dass die Übertragungen nicht im Fernsehen oder gar im Pay-TV zuhause sind, sondern bei der beliebten Streamingplattform Twitch. Jeder hat so die Möglichkeit, sich „seinen“ Caster auszusuchen und nur die Übertragungen zu schauen, die ihn auch wirklich interessieren. Die Caster-Wahl ist ein erheblicher Vorteil. Wer beispielsweise gerne bei Sky die Bundesliga-Übertragungen angeschaut hat, musste sich vermutlich viel zu oft über unfähige Kommentatoren aufregen, die nach der Ansicht der meisten Fans wohl mehr als „Reif“ für die Rente waren.
Das allerbeste an der Übertragung per Twitch aber ist, man muss keinen müden Cent dafür bezahlen, dass man unterhalten wird, dem Turnier zuschauen kann und mit seinem Lieblingsteam mitfiebern kann. Die Finanzierung der Turniere und der Übertragung läuft über Werbeeinnahmen und Spenden, zudem kommt bei manchen Spielen über einen Community-Markt, der einen Teil seiner Einnahmen in die Turnierkasse einzahlt, ein erheblicher Teil des Preisgeldes zusammen. Herausragendes Beispiel ist dafür Dota 2, das ein großen Teil des beim „The International“ ausgespielten Preisgeldes über den Anteil von einem bestimmten Item einnahm. Das Publikum beim The International war groß und selbst die größten Kritiker des eSport mussten sich eingestehen, dass die Stimmung sich nur marginal von anderen großen Sportevents unterscheidet. Beim ESL One Turnier, dessen Endrunden nach der gamescom 2015 in Köln ausgespielt wurden, zeigte sich vor allem bei dem Team Virtus.pro, dass regelrechte Fankulturen entstehen und zahlreiche eSportler sind für viele Spieler zu Vorbildern geworden. Man sieht also, der Markt ist nicht nur ein sehr lebendiger, sondern auch ein sehr interessanter, umso weniger wundert es, dass mit ESPN nun ausgerechnet der Sender in den Markt einsteigt, der bislang erklärtermaßen nicht wirklich etwas von der Sportart gehalten hat und diese auch öffentlich immer wieder diffamiert hat. ESPN hat damit in den USA gewissermaßen die ähnliche unreflektierte Haltung von RTL hierzulande eingenommen. Kann ESPN also wirklich gegen die starke Konkurrenz von Twitch bestehen?
Wenn man jetzt liest, dass mit ESPN nun ausgerechnet ein Sender massiv und aggressiv in den eSport-Markt einsteigt, dann muss man sich sicherlich nicht zu Unrecht fragen, ob das überhaupt wirklich gut gehen kann. Ein Sender, der mit Kommentatoren über Events berichten will, die er erklärtermaßen für lächerlich hält und die er nicht wirklich Ernst nimmt, das kann doch eigentlich nur schief gehen. Die Idee, mehr Content zum eSport, ganz im Stile der großen Sportsender, zu bringen und die Zuschauer damit theoretisch rund um die Uhr unterhalten zu können, die verfolgt nicht nur ESPN, sondern auch Activision Blizzard. Nach dem Kauf der Rechte an der amerikanischen MLG-Liga hat der Mega-Konzern sich sehr stark in den eSport eingekauft, nicht nur mit dem Hintergedanken, eigene Spiele so besser zu Geltung zu bringen, worüber sich im Falle von Star Craft II Blizzard eigentlich keine Sorgen zu machen braucht, sondern explizit mit dem Ziel vor Augen, ein ESPN für den eSport zu entwickeln.
Die Reaktion von ESPN ist daher gar nicht mal so unerwartet gekommen, schließlich waren die Ambitionen von Activision Blizzard eindeutig und selbst hinter dem Mond lebende Programmdirektoren bei dem Sportsender dürften mittlerweile den gigantischen Erfolg der eSport-Turniere in den letzten Jahren mitbekommen haben. eSport ist eben nicht mehr nur eine Nischen- und Randgruppenbeschäftigung für einen seltsamen Haufen Nerds, sondern eine Zusammenkunft der besten Gamer und Teams in den jeweiligen Spielen vor gigantischem Publikum mit durchaus stadionähnlicher Stimmung. Selbst das verhältnismäßig sehr kleine S.K.I.L.L.-Finale, dass unser Team sich auf der gamescom 2015 zu Gemüte geführt hat bot eine unfassbar gute Stimmung auf – trotz weniger hundert Zuschauer vor Ort. eSport ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wird sicher in den nächsten Jahren seine endgültige Anerkennung als „richtige“ Sportart bekommen, denn wer Schachturniere in Weltmeisterschaften und auch olympisch ausfechten lässt, der kann sich nicht auf ewig der aufstrebendsten Sportart der letzten Jahre verschließen. Auch aufgrund dieser Tatsache ist der Schritt von ESPN ein richtiger und wichtiger in die Richtung, in die der eSport sich entwickeln will: Mehr Professionalität, mehr an den großen Sportarten orientiert und als richtige Sportart anerkannt.
Durch ESPN hat der eSport nicht nur die Möglichkeit, einem wesentlich größeren Publikum zugänglich zu sein, auch hat er die Möglichkeit in eine vielversprechende Richtung zu wachsen. Das Durchschnittspublikum bei ESPN entspricht sicher nicht dem von Twitch oder hitbox und vor allem kann der eSport durch ESPN erwachsen werden. In einigen wenigen Ländern werden erfolgreiche eSport-Teams und ihr Mitglieder genau wie Fußballer, Handballer, Rugbyspieler oder Tennisprofis verehrt und sie können von ihrer sportlichen Tätigkeit leben – ein Luxus, den nicht viele Teams haben, da der eSport einfach noch nicht so viel Aufmerksamkeit aus allen Richtungen bekommt. Innerhalb der Gaming-Szene ist der eSport natürlich längst angekommen, aber in der vielzitierten „Mitte der Gesellschaft“ eher noch nicht, was man bei Diskussionsrunden mit selbsternannten Experten zum Thema Videospiele immer wieder merken kann.
Auch wenn es also zunächst sehr komisch anmutet, dass ausgerechnet ESPN in den eSport groß einsteigen will, so kann es neben den großen Investments von Activision Blizzard für den eSport an sich nur gut sein, dass der nächste Big Player mitmischt, denn mehr Reichweite bedeutet immer mehr Erfolg. Ob die Berichterstattung von ESPN dann auch dem entspricht, was die Zuschauer schon von den Streams auf Twitch gewohnt sind, das wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Grundsätzlich ist es aber tatsächlich zu begrüßen, dass ESPN in den Markt einsteigt und frischen Wind reinbringt. Damit könnten auch die Preisgelder steigen, was für größere und noch epischere Turniere sorgen könnte. Wie großartig ein Major Final sein kann, hat The International 2015 mehr als eindrucksvoll bewiesen. Nach dem Einstieg von ESPN bleibt nur zu hoffen, dass weitere Sender folgen, damit wirklich alle in den Genuss des eSport kommen können.