Kingdom Come: Deliverance wirkt von außen wie der RPG-Genre-Hit des Jahres. Doch um wirklich gänzlich in die Welt einzutauchen, um dieses Spiel lieb zu gewinnen, muss man über vieles hinwegsehen.
Ich habe mir lange überlegt, wie ich diese Review beginnen soll. Denn auf der einen Seite haben wir vielleicht das beste Mittelalter-RPG aller Zeiten, welches sich ohne Probleme an die Seite von Witcher 3, Skyrim, Fallout 3 oder Oblivion hätte stellen können – wenngleich Kingdom Come eine ganz andere Erfahrung vermitteln will.
Immersiv, großartiges Storytelling, realistisches Gameplay, gewaltige Schwertkämpfe… und auf der anderen Seite? Ein Spiel, welches zwar von außen betrachtet wie ein Silberschwert glänzt, dessen Klinge aber stumpf und untauglich im Kampf ist. Kingdom Come: Deliverance kämpft mit sich selber, mit seinen Bugs, seiner Performance und vielen weiteren, kleinen Schwächen.
Wer jedoch über diese Schwächen hinwegsehen kann, der wird bei Kingdom Come: Deliverance (KDC) ganz auf seine Kosten kommen. Das Spiel ist anders als viele andere Genre-Vertreter. Eines, welches sich die Zeit nimmt und dich dabei voll und ganz in das Leben im Mittelalter hineinzieht. Keine Magie, kein Held, keine übermenschlichen Fähigkeiten. Wir sind ein einfacher Sohn eines Schmieds, gerne etwas faul, gerne mit den Freunden aus dem Dorf am Saufen. Ein Draufgänger und verliebt in die Tochter des Wirts.
Wir können nicht lesen, wir können nicht schwimmen und erst recht nicht mit einem Schwert umgehen. Aber eines, das können wir besonders gut. Von der Freiheit träumen. Dieser Traum wird jedoch schneller in Erfüllung gehen, als uns lieb ist.
Heinrichs Schicksal
Wir sind Heinrich (Engl: Henry) von Skalitz, Sohn des Schmieds und, man könnte fast sagen, ein Taugenichts. Obwohl, beim Schmieden mit unserem Vater sind wir nicht ganz ungeschickt. Und auch der Wille nach Abenteuern, Freiheit und die Welt entdecken macht aus uns keinen gewöhnlichen Taugenichts.
Völlig verschlafen weckt uns unsere Mutter aus dem Bett, nach einer durchzechten Nacht mit unseren Freunden. Vater ist schon sauer, dass wir wieder so lange geschlafen haben. Nach einer kleinen Diskussion begeben wir uns zum Vater, der am Schmieden ist. Er gibt uns ein paar Aufträge – und gleich hier wird klar, das Spiel will, dass wir uns Zeit nehmen. Ohne Minimap und Symbolen auf der Karte können wir nur mit dem Kompass die Personen finden, die wir ansprechen sollen.
Nach etwa einer Stunde Spielzeit haben wir dann auch endlich alles zusammengesammelt und Wege gefunden, wie wir an das Geld für den Sack Kohle kommen, den wir für Vater brauchen. Denn hier sagt das Spiel nicht „Tue das, damit du das erreichst“. Es sagt uns nur, was wir erreichen sollen. Oft müssen wir selbst herausfinden, wen wir ansprechen müssen, welche Wege und Möglichkeiten es gibt oder müssen ein Suchgebiet, welches die ganze Stadt umfasst, abarbeiten.
Immerhin, bevor wir zum Vater zurückkehren können, gibt uns ein Freund noch eine letzte Unterrichtsstunde im Schwertkampf. Diese müssen wir aber nicht zwingend annehmen. Wir tun es trotzdem. Schließlich möchten wir als Heinrich bald die Welt entdecken. Doch beim Kampf fällt auf: das ist gar nicht so einfach. Abgesehen von der hektischen Steuerung, die gerne mal zuckelt, ist es kein Kinderspiel, den Gegner zu treffen.
Das Kampfsystem erinnert ein wenig an For Honor, gibt uns aber fünf Haltungs- beziehungsweise Schlagpositionen des Schwertes. Zum Zustechen müssen wir lediglich die rechte Maustaste drücken. Später erlernen wir auch das Parieren korrekt, in dem wir im richtigen Moment Q drücken oder auch den Schlag gekonnt ausweichen. Das mag erstmal einfach klingen. Doch im Kampftraining noch mit Zeitlupe ausgestattet, müssen wir im richtigen Kampf auf Leben und Tod deutlich schneller reagieren. Viel schneller. Dazu kommen diverse Tricks, die wir langsam aber sicher während des Spielverlaufes erlernen. Alles braucht seine Zeit. Gerade, wenn man unerfahren und kein Held ist. Das lässt uns das Spiel nur zu gerne immer und immer wieder wissen.
Wer den Trailer kennt, kann sich denken, was nun passiert. Sigismunds Armee greift das kleine Dorf Skalitz an. Sein Hauptmann Markvart von Auliz mordet und plündert auf Geheiß des Königs von Ungarn. Doch eigentlich sind sie hinter jemand gänzlich anderen her. Radzig Kobyla. Der Lord von Skalitz.
Wir müssen fliehen, alles hinter uns lassen. Unser Traum wird zu unserem Schicksal. Das Tutorial geht noch etwa ein bis zwei Stunden und zeigt uns, wie rau und schwer das Leben im Mittelalter war. Gerade in unserer Situation.
Rau und Brutal. Das war die Welt im Mittelalter.
Die Stärken
Kingdom Come: Derliverance führt uns durch eine atemberaubende Welt, die realistischer hätte nicht sein können und perfekt dem Mittelalter nachempfunden wurde. Schließlich beruht, bis auf die Geschichte rund um Heinrich, alles auf einer wahren Begebenheit. Wir durchleben am Ende also etwas, was damals wirklich hätte so vorkommen können oder vielen auch passierte.
Dass dabei die Story rund um den Protagonisten natürlich viel Mittel zum Zweck ist, möchte man mal außen vorlassen. Dennoch kriegt es Warhorse Gaming hin, trotz des Wissens, was bald passieren wird, einen voll und ganz in die Geschichte hinein zu saugen. Man kann mit Heinrich mitfühlen, man spürt den Schmerz, den die Menschen erleiden. Etwas, was ich in vielen anderen Spielen vermisse. Dort sind die Geschichten (und oft bei Ubisoft) immer Mittel zum Zweck und gleichzeitig ist das Storytelling eher mittel.
Hier liegen KCD’s großen Pluspunkte. Dialoge, Design, Umwelt, alles gibt eine realistische, raue und derbe Welt des Mittelalters wieder. Das niedere Volk, die herrschende Kirche (Luther war noch nicht geboren), dass oft triste und gerade zu langweilige Leben einer Wache und viel, viel mehr.
Doch Kingdom Come’s Stärke ist gleich auch seine Schwäche. Während man eine realistische Erzählung des Mittelalters mit möglichst vielen Aspekten erzählen will, fallen großräumige Geschichten unter den Tisch. Und auch bestimmte Wendepunkte in Story und Erzählungen fallen eher gering aus.
Dennoch wird durch die Dialoge und dem Storytelling an sich etwas geschafft, was nur selten gelingt. Man wird ständig an der Stange gehalten und will unbedingt weiter- und weiterspielen, während sich Heinrich langsam zu einem immer besseren Kämpfer mausert.
Und viel gibt es sonst auch nicht in dem Spiel, außer seine Hautp- und Nebenquests. Und Kingdom Come möchte auch nicht viel mehr sein. Kein Skyrim oder Witcher 3, wo man Welt und Geschichte verändern kann, hunderte Stunden in das Erkunden stecken und mysteriöse Höhlen erkunden kann. Es ist ein relativ lineares Spiel. Auch wenn es einiges am Wegesrand zu erkunden gibt, wer dieses Spiel aber auch wegen des Erkunden kaufen möchte – der würde bitter enttäuscht werden.
Das ist aber weniger Kritik, als Lob für das, worauf sich Kingdom Come spezialisiert hat. Und das ist eben nun die relativ lineare Story. Und das macht das Spiel extrem gut. Trotzdem haben wir eine gewisse Entscheidungsfreiheit, wie wir eine Quest angehen, wie wir Groschen verdienen und können natürlich trotzdem die Welt erkunden. Und auch den einen oder anderen Schatz gilt es zu finden, hier und da ein Lager oder einfach auf die Jagd gehen, wenngleich das Wildern in der damaligen Zeit verboten war.
Und hin und wieder werden wir, teils unbewusst, vor Entscheidungen gestellt, die ein großes Ausmaß an Zerstörung herbeiführen können. Manchmal laut, manchmal leise. So können wir für den Tod eines ganzen Dorfes verantwortlich sein, wenn wir im Dialog auch nur eine falsche Antwort abgeben. Für die Story ist dies unerheblich, trotzdem – das Gefühl möchte und musste ich Gott sei Dank nicht erleben.
Oder einfach wunderschön. Ein abgelegenes Blumenfeld lädt zum Genießen ein – obwohl dieses als Feld für einen blutigen Schwertkampf diente. Er hatte einen schönen Ausblick vor dem Ableben.
Wo bin ich, was soll ich hier machen?
Kingdom Come: Deliverance macht dir häufig klar, dass man im Mittelalter kein Navi hatte und Gegenstände nicht Glitzern und zufällig 20-fach in einem kleinen Gebiet vorkommen. Hin und wieder gibt es Aufgaben, da muss man sich auf die Suche machen, nach Wild, nach Blumen oder Vögeln, Gegenständen und anderes.
Doch wer nun denkt, dass man Stumpf in drei Minuten eine Gegend absuchen muss, schnell alles sammelt und die Quest beendet, der irrt sich – gewaltig. Ohne Hilfe und oft seltsamen Erklärungen von den NPCs, was wir eigentlich suchen oder jagen sollen, müssen wir diese Aufgaben erledigen. Ob wir dafür durch den Wald streifen, oder uns in einer Burg nach Ausrüstung rumsuchen müssen. Quests sind witzig umgesetzt, erfrischend anders und realistisch. Wir sind nun mal ein einfacher Mensch ohne Superfähigkeiten.
Überwiegend geht es in dem Spiel sowieso darum, mit Menschen zu sprechen, Gegenden abzusuchen oder Stumpf banalen Aufgaben und Regeln zu folgen. Kämpfen tut man eher selten. Im Mittelalter war das Leben zwar oft rau, aber es floss nicht jeden Tag Blut. Es geht um Intrigen, den Hochadel, den Verschwörungen und kleinen Problem, wie einen Streit zu lösen oder Tage, vielleicht eine Woche im Kloster zu verbringen, um eine Person ausfindig zu machen. Nicht nur mir ergeht es so, dass man den Ablauf eines Novizen des Klosters auswendig kann. Ich schaue kurz auf die Uhr, gleich 4 Uhr. Ich muss in einer Stunde zum Gebet.
Man muss Zeit und Kraft mitbringen und sich voll und ganz auf dieses Spiel einlassen. Wer lieber viel kämpft und Action erwartet, sollte vorsichtig beim Kauf dieses Titels sein. Schafft man aber, sich auf die Welt des Mittelalters einzulassen, die einem Warhorse Gaming vorsetzt, dann kann man tief eintauchen und merkt plötzlich, dass schon wieder zwölf Stunden Spielzeit vergangen sind.
Natürlich fallen typische Rollenspie-Aspekte nicht unter den Tisch. Ob wir in einer Quest mit Leuten reden müssen, um an Hinweisen heranzukommen, Spuren nachgehen oder vielleicht mit roher Gewalt als Mittel zum Zweck einsetzen. Hinter all dem verstecken sich Skills, wie beim Reiten, Schlösser Knacken oder dem Jagen mit Pfeil und Bogen (wo es übrigens kein Fadenkreuz gibt, was für erhöhte Schwierigkeit und mehr Realismus sorgt). Wer seine Fähigkeiten steigert, kann neue Skills in den einzelnen Kategorien erlernen.
Wie gut man zum Beispiel im Sprechen ist, hängt vom Skill ab. Möchtest du jemanden mit Drohungen versuchen, zum Reden zu bekommen, solltest du einen gewissen Ruf haben. Möchtest du einen guten Bogen nutzen, brauchst du eine hohe Stufe (anlegen geht trotzdem, doch sind wir schlichtweg noch „zu dumm“, um den Bogen oder eine andere Waffe bei niedriger Stufe ordentlich zu nutzen).
Auch Lesen kann Heinrich nicht – doch er ist lernfähig. Je besser man im Lesen ist, desto klarer werden die Wörter. Ist man auf einem guten Weg, kann man irgendwann relativ logisch entschlüsseln, was in dem Buch steht. Das ist sehr witzig, realistisch und gut eingebaut.
Welche Skills man dabei levelt, ist abhängig davon, wann man sie einsetzt. Das Charakter-Level erhöht sich immer dann, wenn in genug Unter-Kategorien Erfahrung gesammelt wurden. Hier kann man dann bestimmte Fähigkeiten wie einen trinkfesten Magen auswählen, oder entscheiden, bei welcher Bevölkerungsgruppe man eher beliebt sein möchte.
Appropos trinken. Neben den allgemein bekannten Fähigkeiten, die man in einem RPG so levelt, wollte natürlich Warhorse Gaming dem Spiel noch mehr Realismus hinzufügen. So bedarf Heinrich regelmäßig an Essen und natürlich auch Schlaf. Müde oder hungrig in den Kampf ziehen, das ist nicht gut. Man erleidet mehr Schaden, ist träger und teilt auch weniger aus. Ergo ist es wichtig, vor dem Abenteuer gut auszuschlafen und stets frisches Essen dabei zu haben. Aber bloß kein Verdorbenes. Eine Lebensmittelvergiftung will natürlich keiner. Zu viel Essen sollte man indes auch nicht. Wie ein voller Magen sich auf unsere Motivation und Leistungsbereitschaft auswirkt, wissen wir ja alle.
Kingdom Come: Deliverance zeigt immer wieder Gore-Elemente. Verbrannte und verstümmelte Leichen, Tiere und mehr. Doch Gliedmaßen abtrennen können wir nicht.
Die größten Schwächen
Warhorse Games verspricht, dass schnellstmöglich nachgepatched wird. Denn trotz des Day-One Patch hat das Spiel viele Probleme.
Das fängt damit an, dass von Beginn an das Spiel für Gespräche ewig zum Laden braucht. Ein Gespräch mit dem Händler kostet gut einen Ladebildschirm von etwa 2-10 Sekunden, je nachdem wie die Performance gerade so will. Und apropos Performance. Eigentlich läuft das Spiel flüssig auf höchsten Einstellung bei 50-60 FPS. Das ist soweit noch in Ordnung. Doch gerade bei Nacht, Wettereffekten oder generell immer wieder mal scheint das Spiel zu schwanken. Und dann hat man mehrere Minuten lang plötzlich nur noch 14 FPS oder inmitten von einem Kampf, die nun nicht sehr häufig vorkommen, ruckelt es.
Und obwohl die Grafik atemberaubend schön ist, vielleicht nicht ganz an die Wucht wie ein Assassin’s Creed Origins aufweist, obwohl die Liebe zum Detail enorm ist und man seinen Charakter vielseitig ankleiden kann mit etlichen Rüstungsteilen und Klamotten – so betrüben immer wieder aufpoppenden Gegenstände, Bäume, NPCs und nachladende Texturen dieses Feeling. Trotz maximaler Sichtweite. Und obwohl Gesichter und Körper sehr realistisch aussehen, mangelt es ihnen an Körpersprache. Besonders in Kämpfen wirken Augen, Mund und andere Gesichtspartien eher starr und kalt. Wenn jemand drauf und dran ist, dir dein Leben zu nehmen, sieht man anders aus. Und manchmal ist es fragwürdig, wie die Grafiker sich den Lichteffekt vorstellten, wenn die Sonne durch ein Fenster scheint. Hier ist es dann doch zu viel des Guten.
Schwierigkeiten dürfte man auch beim Schlösser knacken kriegen. Denn dies ist schlichtweg unmöglich. Einmal habe ich es geschafft. Danach nie wieder und ich versuche dieser Mechanik auch stets aus dem Weg zu gehen. Gott sei Dank braucht man nur zu Beginn in einer Hauptquest ein Schloss zu knacken. Jedoch verspricht Warhorse Gaming in einem kommenden Patch Besserung. Die Idee hinter dem System ist zwar ganz nett – doch nicht gut ausgearbeitet für Maus und Tastatur. Ein Video habe ich hier verlinkt. Danke an EuroGamer fürs Uploaden.
Viele dieser Bugs zerren an den Nerven. Noch viel schlimmer ist aber die edutsche Sprachausgabe. Nicht etwa, weil die Sprecher keinen guten Job geleistet hätten – im Gegenteil. Hier wurde ein grandioser Job geleistet. Sondern vielmehr, dass ständig am Ende eines Satzes ein Wort fehlt und einfach abbricht. Das passiert nicht immer, aber bei jedem zweiten oder dritten Gespräch drei bis vier Mal. Das sind Momente, die einen aus der Geschichte herauszerren und für Stirnrunzeln sorgen.
Fast schon amüsant war der Moment, wo ein NPC mich plötzlich mit der Stimme des Hauptcharakters Radzig Kobyla ansprach. Das war doppelt verwirrend, da ich gerade auf dem Weg zu Radzig war, um mit ihm zu sprechen. Als ich dann fertig mit dem Gespräch war, das Zimmer der Burg verließ und draußen stand, folgte mir Radzig. Und plötzlich hatte ich einen NPC mit Radzig’s Stimme und Radzig selbst – vielleicht nicht Synchronstimmen einer wichtigen Rolle auch für NPCs nutzen, liebes Studio, welches für die Synchronisation verantwortlich war. Lachen musste ich trotzdem.
Ebenfalls sind Untertitel und das tatsächlich gesprochene Wort nur in den seltensten Fällen identisch. Man könnte meinen, dass ist deshalb so, damit es beim Lesen schneller und einfacher ist (wenn man mal den Ton ausstellen muss oder taub ist). Doch nicht hier. Es wirkt einfach so, als wäre die Übersetzung der Untertitel und die Übersetzung des Skripts nicht Hand in Hand gelaufen. Sondern getrennt und nicht angepasst. Schade eigentlich.
Ein weiteres großes Problem ist die Soundkulisse. Entweder ist das Ambienteb perfekt, Effekte sind klanglich schön und sauber, Stimmen hallen in Räumen oder sind bei Regen dumpf und geschriener und die Musik sorgt für passende Stimmung. Oder immer und immer wieder sind Stimmen viel zu leise, die Musik dreht plötzlich völlig ab, als hätte ein DJ die Regler alle auf volle Lautstärke gepulled. Das Regengeräusch wechselt von Schauer auf 300 KM/H Tornado.
Und gerade wegen der Musik, die am meisten Probleme bringt, habe ich diese komplett im Spiel deaktiviert. Was ich jedem nach dem Tutorial nur empfehlen kann, denn dies sorgt für eine erstaunlich realistische Atmosphäre. Den Wald nur mit den Geräuschen der Tiere und des Windes zu durchqueren, es gibt kaum etwas Schöneres. Da wollte ich direkt selbst in den Wald hinter mein Haus gehen – auch wenn es gerade leider Nacht war.
Viel weniger sehe ich ein Problem im Balancing. Wir sind nun mal eben kein Kämpfer vor dem Herrn. Wer nun erwartet, nach 20 Sekunden einen tödlichen Schlag bei einem geübten Kämpfer (und nicht einem einfachen Räuber) zu setzen, der scheint das Spiel bei all seinem Verständnis nicht verstanden zu haben. Bei Prügeleien müssen wir selbst herausfinden, wie wir kein Knie ins Gesicht geschmettert bekommen, sondern selbst solche Tricks ausführen können. Eine der ersten Quests nach dem Tutorial ist das Kampftraining. Und unser Lehrer, der Hauptmann, sagte einen Satz, der uns das ganze Spiel begleiten wird: „Üben, üben, üben.“. Passend dazu der Quest-Titel „Ohne Fleiß keinen Preis“.
Und ebenso ist es auch im Schwertkampf. Wir kämpfen teilweise gegen Kämpfer mit jahrelanger Erfahrung. Diese könnten wohl Schwertkämpfe, die weit über zehn Minuten und drüber andauern, durchhalten, ohne einen Schlag zu kassieren. Hier spielt Kingdom Come: Deliverance in unsere Hände, dass wir bei all dem Realismus wenigstens nicht bei einem Treffer sofort das Schwert aus der Hand fallen lassen. Am Ende sind Schwertkämpfe aber keine leichte Angelegenheit und erfordern viel Ausdauer und Ruhe sowie höchste Konzentration und Routine. Man muss den Rhythmus finden. Und das sind wieder Aspekte, die dieses Spiel erneut so grandios wirken lassen.
(K)ein Bug-Fiasko
Leider war ein Kampf gegen eine Vielzahl an Banditen mit einer Vielzahl an Soldaten an unserer Seite weniger spektakulär und sehr verbuggt. Hier geht das epische Feeling des Einzelkampfes schnell verloren. Hier und da kann man dennoch an dem Balancing arbeiten. Besonders beim Pfeil und Bogen und der ruckeligen Mechanik. Das dürfte ruhig etwas flüssiger laufen sowie größere Schlachten bedarfen einer besseren KI. Dazu im Fazit mehr.
Oft ist die Rede von einem verbuggten Spiel. Doch ein Fiasko ist es nicht. Vieles aber hätte mit einigen Monaten mehr Entwicklungszeit bereinigt werden können. Ob man nun plötzlich 10m über den Boden in einem Busch gefangen ist, dir ein NPC den Weg versperrt, du beim Dialog-Laden angerempelt und dann angegriffen wirst von Wachen, dein Pferd am Schweben ist, eine Quest nicht richtig lädt und und und. Und natürlich die Sound-Bugs, welche ich bereits erwähnte.
Es sind viele kleine, manchmal zahlreich erscheinende Bugs. Nicht geladene NPCs in Sequenzen und fehlende Lippen-Synchronität ist dabei noch das kleinste Problem. Wenn dann plötzlich ein KI-Skript nicht richtig geladen wird oder bestimmte Abschnitte nicht spielbar sind, darf man die ganze Quest von vorne beginnen. Und bei den Speicherpunkten ist das teilweise eine Farce.
Und da sind wir auch schon bei einem nächsten Problem. Das Speichern. Man kann durchaus verstehen, warum Warhorse Gaming lieber auf einen Quicksave verzichten möchte – schließlich sollen wir vorsichtig agieren und nicht wie ein Rambo vorpreschen – weshalb ein Quicksave nur mit Hilfe eines teuren Trankes möglich ist. Aber es gibt immer diesen Moment, wo man, besonders zum Anfang, nicht genug Groschen für solch einen Trank hat oder diesen einfach vergessen hat. Und wenn man dann einen ewig langen Abschnitt erneut wiederholen muss, weil der letzte Speicherstand vor 30 Minuten bei einem Gespräch war, dann Pech gehabt.
Das frustriert ungemein. Und obwohl all dies nach viel Kritik klingt, überwiegen die Schwächen nicht. Kingdom Come: Deliverance überzeugt mit seiner großartigen Welt, die man, obwohl es nur eine stinknormale Welt mit stinknormalen Wäldern und Feldern ist, liebgewinnt.
Was am Ende übrig bleibt – Ein Fazit
Kingdom Come: Deliverance ist ein ewiges Auf und Ab. Meistens verursacht durch Bugs. Die Höhepunkte des Spiels sollten die Schlachten darstellen, Storytechnisch wurden diese zumindest so aufgezogen. Doch damit schneidet sich Warhorse Gaming ins eigene Fleisch. Sie sind nicht episch und die KI der Soldaten lässt mehr als nur zu wünschen übrig. Es ist gar zum Verzweifeln. Wenn ich vor drei Wachen meinen Bogen spanne, erwarte ich, dass man mir ein Schwert in die Fresse prügelt, statt dumm einen Pfeil in die Eigene zu bekommen… Die Engine ist einfach völlig überlastet, wenn mehr als fünf Gegner zweier Seiten sich gegenüberstehen. Es spricht für sich, wenn man die Zwischensequenzen herbeisehnte, um etwas mehr von dem epischen Feeling zu erhalten.
Die Geschichte beginnt großartig und zieht einen bis zur Mitte mit, dann flaut es etwas ab und trotzdem, die kleinen Dinge sind es, die einen am Spielen halten und es sich nicht wie ein gezwungenes Durchspielen anfühlen lassen. Die guten Dialoge, die kleinen Affären zwischendurch (womit nicht unbedingt Frauen gemeint sind), das Lügen und Trügen. Am Ende versucht man, mit zwei Plot-Twists noch etwas die Stimmung der Hauptstory anzuheben – vergeblich. Diese wirken erzwungen und der eine war nicht mal ein Plot-Twist, sondern wurde, vielleicht bewusst oder ungewollt, schon früh preisgegeben.
Wäre Kingdom Come: Deliverance nicht das, was es ist, müsste man davon abraten, dieses Spiel zu kaufen. Doch es ist eben die Tatsache, dass man durch den Realismus dieses RPGs gänzlich in die Welt eingesaugt wird. Und nur das ist der Grund, warum Kingdom Come: Deliverance gut, aber nicht schlecht ist. Denn wer dieses Spiel für die Schlachten oder für viel Action kauft, der sollte lieber die Finger davonlassen. Wer aber, trotz vieler Makel, die unbedingt in kommenden Patches bereinigt werden müssen, sich auf ein Setting wie dieses einlassen kann und dabei Ruhe und Kraft und ein gewisses Interesse am Mittelalter hegt – für den ist Kingdom Come: Deliverance ein wahr gewordener Traum.
Ich werde nun auf eine Jagd in den Wäldern von Böhmen gehen, Wild erlegen und dann den Sonnenuntergang genießen. Und danach mein Glück im Würfelspiel versuchen – oder die gezinkten Würfel zum Einsatz kommen lassen.