Es sind nur noch wenige Monate, bis die ersten großen Vertreter der Virtual Reality Brillen auf den Markt kommen. Nur noch ein kleiner Schritt bis zum Holodeck, oder haben die VR-Systeme doch keine Zukunft?
Virtuelle Realität ist derzeit in jedermanns Munde. Egal ob Oculus Rift, Playstation VR oder HTC Vive – hier kommt eine ganz große Revolution der Videospiele auf uns zu. So wollen es zumindest die entsprechenden Entwickler gerne sehen. Aber nicht jeder ist wirklich von VR überzeugt. Abgesehen davon: Virtuelle Realität ist alles andere als neu!
VR – Zukunft oder Vergangenheit?
Wer zum Beispiel erinnert sich noch an die dicken Arcadebrocken, wie den 1000CS oder 2000DS mit Spielen wie „Legend Quest“ und „Pac-Man VR“? Bereits in den 90er Jahren wurde VR auf den Prüfstand geschickt – konnte sich bei der breiten Masse jedoch nie wirklich durchsetzten. Noch mehr: Schon 1968 hat Ivan Sutherland, ein Pionier der Computergrafik, die erste Brille für virtuelle Realitäten entwickelt. „Der Zeit voraus“ und „die Technik war noch nicht soweit“ sind typische Aussagen zum Thema.
Immer wieder wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die virtuelle Realität Zündstoff für Diskussionen und Ideen. Doch die Revolution blieb weitestgehend aus. Ein gescheiterter Prototyp hier, ein verhunztes Experiment da. Wollten die Entwickler zu viel? War die Technik nicht ausgereift? Oder wären die Systeme aufgrund geringer Marktnachfrage nicht wirtschaftlich gewesen? Zumindest letzteres ist kaum vorstellbar. Wer wünscht sich nicht mindestens seit der ersten gesehen Folge Star Trek Enterprise mit Picard als Captain einen interaktiven Umgebungssimulator? Klar, auch aktuelle Projekte sind von dieser Art der Technik noch weit entfernt. Aber es ist ein Schritt in die Richtung. Ob richtig oder falsch sei weiterhin dahin gestellt.
(Anti-)Social-VR
Denn ja, auch heute noch gibt es nicht nur Zusprüche in Sachen VR. So äußerte sich erst vor kurzem Phil Spencer – seines Zeichens Leiter der Xbox-Sparte bei Microsoft – kritisch zum Thema:
„Nunja, das ist jetzt nur meine Meinung. Ich meine, wir haben natürlich eine Partnerschaft mit Valve und Oculus in Bezug auf die VR-Arbeit, die dort geleistet wird, aber ich hoffe nicht [dass VR die Zukunft darstellt].“ – Phil Spencer, Leiter Unterhaltungsprodukte, Microsoft
Er glaubt zwar sehr wohl, dass VR gute Ergebnisse liefern kann und wird, bezieht sich bei seinem Statement jedoch vor allem auf die Sozialverträglichkeit von Virtual-Reality-Brillen.
„Ich liebe es, im familiären Raum mit meinen Kindern zu spielen. Ich liebe es, wenn Leute zusammen kommen um gemeinsam zu sehen, was auf dem Monitor passiert und die Art des Spaßes, die Videospiele ausmacht.„
Spencer ist zwar nicht der Meinung, dass soziale Features binnen VR-Systemen unmöglich seien, es sei jedoch Schade, wenn sich in Zukunft jeder in seine virtuelle Realität zurück ziehen würde. Und tatsächlich: Ist Gaming nicht auch ein Stück weit ein soziales Phänomen? Muss man sich komplett von der Umwelt abkapseln? Schließlich wollen wir, die Gamer, auch irgendwann unseren schlechten Ruf der Eigenbrötler ohne Freunde und soziale Kompetenzen gänzlich los werden! VR ist hier definitiv nicht der richtige Weg zur Lösung.
Spencers Argumentation ist zweifelsfrei verständlich. Entgegenzusetzen ist jedoch, dass nicht erst VR den erneuten Untergang des Zusammen-Spielens ein Grab buddelt. Die vergangenen Jahre zeigen: Zumindest die Industrie möchte nicht, dass wir gemeinsam spielen – schließlich bieten kaum noch irgendwelche interaktiven Medien so etwas wie Split Screen. Woran das liegt? Ohne der Branche all zuviel Böses unterstellen zu wollen: Wer gemeinsam an einer Plattform spielt, braucht davon auch nur eine. Stattdessen werden zur gemeinsamen Online-Partie mindestens zwei Konsolen, beziehungsweise Computer gebraucht. Ich persönlich vermisse die Zeit, in der man gemeinsam mit Freunden auf der Couch gesessen und gezockt hat. Klar, gibt es diese Titel immer noch (wir haben hier sogar eine Liste für euch zusammen gestellt) und auch Nintendos Wii und Wii U bieten zahlreiche lokale Mehrspieler-Spiele, aber wir reden hier von einer Ausnahme und keiner Regel. Oder bin ich etwa wirklich Teil einer Minderheit, die lieber in der Gruppe als alleine spielt?
Versteht mich nicht falsch: Ich spiele auch gerne online oder alleine, aber was gibt es schöneres, als hin und wieder mit Freunden und einem Glas… äh, Milch zusammen zu sitzen und sich gegenseitig virtuell die Birne einzuschlagen oder gemeinsam auf Schatzsuche zu gehen?
Geschichten Erzählen für Fortgeschrittene
Doch nicht nur sozialer Mehrwert wird in den Augen vieler mit VR einen Rückschritt erleben. Auch neugewonnene Videospiel-Aspekte wie das Erzählen einer durchdachten und komplexen Storyline wird in den Welten virtuelle Realität kaum umsetzbar sein. Das fängt schon alleine mit der weitestgehend freien Kameraperspektive an, die ja schließlich einen Großteil des VR-Erfolges ausmachen soll. Wie soll garantiert werden, dass ich im richtigen Augenblick an die richtige Stelle gucke um so einen wichtigen Baustein der Geschichte zu entdecken? Bislang werden solche Elemente vor allem auf zwei Arten gelöst: Zum einen wird einfach so lange mit dem Fortschritt im Spiel gewartet, bis man an besagte Stelle guckt. Ein Beispiel hierfür ist die jetzt schon legendäre Demo zum eingestellten Horror-Spiel „P.T.“ – hier ging es immer erst weiter, wenn ein entsprechender Trigger, also Auslöser, betätigt wurde. Das geht aber nur, wenn das Ereignis wirklich warten kann. Das ist aber bei weitem nicht immer so.
Ich stelle mir hier eine fiktive Situation vor, in der ein Komet auf die Erde rast. Wieso, weshalb und warum das vorher niemand geschnallt hat, ist uninteressant. Entscheidend ist jedoch: Gucke ich gerade in die falsche Richtung, bin ich plötzlich tot und weiß noch nicht einmal warum. Am Monitor wird dieses Problem häufig durch das Zentrieren der Anzeige auf das Geschehen gelöst. Ein Einschnitt ist die (Bewegungs-)Freiheit des Spielers, aber ohne weiteres zu verkraften. Anders sieht dies bei Virtueller Realität aus. Ich muss schließlich meinen Kopf neigen, bewegen, drehen um ein entsprechendes Feedback im Spiel zu bekommen. Zentriert jetzt plötzlich das Spiel ohne mein Einwirken die Sicht auf etwas anderes, ist das nicht nur ungewohnt für uns und unser Gehirn, nein, es ist im Nachhinein auch ein riesiger Eingriff in die Realität, die das Spiel bieten soll!
Die Entwicklung von VR-Spielen
In Sachen Entwicklung müssen sich zumindest die Spiele-Hersteller glücklicher Weise keine großen Sorgen machen. VR-Kompabilität stellt (theoretisch) kaum bis gar keinen Mehraufwand dar. Dreidimensionale Umgebungen sind eh in den meisten Fällen vorhanden und ob die Eingabe nun per Maus und Tastatur oder per Bewegungssensor der Brille und VR-Controller kommt ist letztlich egal. Einzig die Engine muss eine Schnittstelle für die neuen Input-Werte übersetzten können. Berühmte Vertreter wie die Unity und Unreal Engine bieten dieses Feature bereits oder bekommen es demnächst nachgereicht.
So sollte also sowohl die zeitgleiche Entwicklung von Spielen mit herkömmlicher wie auch VR-Steuerung als auch die Portierung bereits erschienener Spiele kein großes Problem darstellen, auch wenn viele Studios dieses gerne suggerieren. Klar, auch hier gilt exceptio probat regulam in casibus non exceptis – Ausnahmen gibt es immer!
Teuer, teurer, VR
Über einen weiteren Stolperstein, des auf uns zukommenden VR-Geschäfts, haben wir schon vor einigen Tagen berichtet, nachdem Playstation erneut eine zu erwartende Preispanne angedeutet hat: VR-Brillen sind keinesfalls mit gewöhnlicher Peripherie wie Maus, Tastatur oder Controller zu vergleichen. Sie stellen stattdessen vielmehr eine eigene Spiele-Plattform dar und werden auch ein etwa genauso tiefes Loch in eure Geldbörse reißen. Soll heißen, dass sowohl bei Playstation VR, als auch Oculus Rift und HTC Vive mit Preisen zwischen 400 und 500 Euro zu erwarten sind. Als Ausnahme gelten hier offizielle VR-Brillen, die für die Nutzung mit Smartphones gedacht sind. Dazu gehört zum Beispiel die Samsung Gear VR mit einem angedachten Preis von 99 Dollar. Sowohl die verbaute Technik, als auch der Einsatzbereich ist jedoch vermutlich kaum mit dem eines „vollwertigen“ VR-Systems zu vergleichen.
Gründe für die auf den ersten Blick hohen Preise sind zuhauf vorhanden. Allen voran geht natürlich die verbaute Hardware: Oculus Rift soll euch in der finalen Consumer-Version beispielsweise die Bewegtbilder mit Hilfe zweier OLED-Bildschirme mit je 1080 x 1200 Pixel und einer Bildwiederholrate von 90 Hertz auf die Augen klatschen. Sony und HTC kündigten hier ähnliche Hardware an. Hinzu kommen je nach System zahlreiche Sensoren für Bewegungen und Neigungen des Kopfes. Wer hier einen Preis von 100 Euro erwartet, will sich vom Taschengeld auch einen Porsche leisten können.
VR-Verträglichkeit
Neben all der Technik, dem Preis und allen anderen Kritikpunkten kam vor allem in den Erprobungsphasen der VR-Systeme ein gewaltiges Problem auf viele Tester zu. Manche kennen vielleicht bereits ein ähnliches Problem: Ihr sitzt im Kino, schaut zwei Stunden lang durch eine 3D-Brille auf die Leinwand. Die Folgen sind Kopfschmerzen und sogar Übelkeit. Ein logisches Phänomen, dass auch bei VR-Brillen auftritt, schließlich seht ihr etwas für eure Augen und euer Hirn Unerwartetes. Das will erstmal verarbeitet werden. Zum Glück ließ sich laut der Hersteller das Problem bereits im großen Ganzen lösen. Nachdem nämlich extrem viele Tester sich über die besagten Symptome beschwerten, ließ sich ein Übeltäter bereits ausmachen: Das verbaute Display.
Dennoch beklagen Tester auch jetzt noch Kopfschmerzen, Übelkeit, Orientierungslosigkeit und mehr. Grund dafür ist wie bereits erwähnt (einfach gesprochen) ein überfordertes Gehirn. Die Augen liefern ein anderes Bild der Umgebung, als die restlichen Sinne. So mögt ihr zwar im Spiel springen, sitzt aber in Wirklichkeit gelassen und relaxt auf der Couch oder dem Schreibtischstuhl. Ob sich dieses Problem mit ausreichender Gewöhnungszeit lindert bleibt abzuwarten.
Wer sich übrigens noch gar nicht sicher ist, ob virtuelle Realität für ihn in Frage kommt, kann sich ein vorläufiges Bild mit günstigeren Alternativen als Oculus und Konsorten machen. So gibt es zum Beispiel einen kostenlosen Bauplan des „Google Cardboard“, dass entweder mit einem 3D-Drucker hergestellt oder einfach mit ein wenig Pappe selber gebaut werden kann. Vorgefertigte Brillen gibt es zudem im Internet für teilweise wenig Geld zu erwerben. Zusätzlich braucht ihr hier nur ein größenkompatibles Smartphone und entsprechende (meistens kostenlose) VR-Demos.