Rainbow Six Siege wird bald zwei Jahre alt und hat noch eine große Zukunft vor sich. Gar nicht schlecht für ein Spiel mit so vielen Problemen.
Machen wir es kurz. Ich liebe Rainbow Six Siege. Und ich hasse es. Es vergeht kaum ein Abend, an dem ich nicht fluchend vor meinem Rechner sitze, weil wieder was schief gelaufen ist, an dem nicht ich, sondern das Spiel die Schuld trägt. Es sind diese frustrierenden Momente, die mich daran zweifeln lassen, ob ich ganz bei Sinnen gewesen sein kann, als ich mehr oder weniger blind dieses Spiel vor knapp zwei Jahren erworben habe. Und doch ist der Stundencounter mittlerweile vierstellig.
Es gibt eben aber immer wieder diese tollen Momente, die meinen Kauf bestätigen, dafür sorgen, dass ich ein Spiel aus dem Hause Ubisoft zu dem für mich besten Shooter erkläre. Seien es knappe, spannende, aber schöne Matches oder neue Freundschaften. Mit der Zeit habe ich viele großartige Menschen durch Rainbow Six Siege kennen lernen dürfen. Manch einer hat dem Spiel mittlerweile den Rücken zugekehrt, die meisten aber sind geblieben. Doch warum löst ein Spiel wie Rainbow Six Siege dieses Wechselbad der Gefühle bei einem aus?
Fangen wir an bei dem Konzept: Fünf gegen Fünf, kein Respawn, viel Taktik. Die Spannung in dieser Konstellation vorprogrammiert – und auch wenn Battlefield seine Momente hat, auch wenn ein Modern Warfare nostalgische Erinnerungen hervorruft – so wie Siege ist vielleicht noch Counter-Strike. Nur eben in schöner und anders, zwar auch ein Taktikshooter, aber eben anders. Und genau dieses „anders“ hat für mich von Anfang an den Reiz ausgemacht. Auch wenn die ersten Monate noch von Cheatern verseucht waren und ich noch viel Zeit auf den Schlachtfeldern von Zavod 311 oder Operation Locker verbracht habe, Thermite und Co. hatten mich gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen.
Doch niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal Rainbow Six Siege als mein liebstes und zugleich meist gehasstes Spiel bezeichnen würde. Klar, Frust bringen die Multiplayer-Runden in anderen Shootern auch, wenn einfach nichts reingehen will, die Teammates um einen ringsherum sterben und niemand sich um die Objectives kümmert. Aber dieser Frust ist nicht vergleichbar mit dem Frust, unnötig ohne Respawnmöglichkeit in der entscheidenden Runde eines knappen Matches zu sterben. Gleichzeitig ist die Freude, in letzter Sekunde den entscheidenden Clutch zu reißen, um ein vielfaches größer, als in Battlefield von Flagge zu Flagge zu laufen.
Auf der anderen Seite habe ich auch schon stundenlang im Teamspeak mit Freunden darüber diskutiert, wie schlecht doch das Spiel und wie mies Ubisoft als Firma ist. Die schlechten Server, mangelhafte Hitregistration und eine zu starke Tendenz zu Casual-Gameplay machen es einem manchmal echt schwer, nicht auf den Knopf zum Deinstallieren des Spiels zu drücken. Dabei macht Ubisoft eigentlich sogar vieles richtig mit Rainbow Six Siege. Die Preispolitik ist überaus fair, das DLC-System sollte vielen anderen Publishern als Vorbild dienen. Das Spiel hat eine erfrischende Vielfalt an Animationen, die Karten sind mit Liebe zum Detail gestaltet.
Dennoch hat es Ubisoft bis heute nicht gebacken bekommen, eine vernünftige Pingsperre einzubauen, eine stabile Serversoftware zu programmieren, geschweige denN echte Projektile oder eine Spielerkamera an einer logischen Position einzuführen. Es mag nach kleinen Dingen klingen, über die man sich zu sehr aufregen kann. In der Summe sind es allerdings zu viele Probleme, die einem vor allem über lange Sicht erheblich den Spielspaß mindern. „Mindern“ ist hierbei der freundliche Ausdruck für „komplett nehmen und nebenbei den Glauben an die Existenz fähiger Mitarbeiter bei Ubisoft zerstören“.
Operation Health war ein Meme und die Freude über das Ende der eigentlich guten Idee konnte bei mir nicht größer sein. Hat die Reparatur-Pause ohne nennenswerte Inhalte zwar am Anfang noch für Euphorie sorgen können, gegen Mitte der Season wurde die Verzweiflung größer und gegen Ende der Season fühlte sich das Spiel so schlecht wie noch nie an. Trotzdem hab ich so viele Ranked-Spiele wie in noch keiner Saison zuvor gespielt. Ich habe gelernt, mit dem Frust umzugehen. Dass das irgendwo als HSV-Fan genetisch verankert sein muss, wurde mir erst im Nachhinein klar.
Der logische Schritt wäre gewesen, aufzuhören. Aber aus irgendeinem nicht-logischem Grund war ich auf die dritte Season des Jahres gehyped. Endlich wieder neue Inhalte, endlich wieder frischer Wind. Gut, die Meta wurde komplett umgekrempelt, aber das ist ja nicht unbedingt was falsches. Auch die neue Map gefällt mir sehr gut, ich finde das System des Ranked Map Pools nicht schlecht und alle drei Operator der Season mag ich und spiel ich tatsächlich auch mehr oder weniger regelmäßig. Der Seasonanfang war vielversprechend.
Zwei Tage und zwei Accounts auf dem angestrebten Rang, Ziel der nächsten drei Monate erreicht – und nun? Abwarten, was die Midseason-Reinforcements wohl bringen. Ubisoft hatte neues Recoil angekündigt, eine Überarbeitung für Blitz und später dann überraschend auch noch eine für Kapkan. Einige wenige Minuten auf den Technical Test Servern reichten mir aber schon, um das angedachte neue Recoilsystem zu hassen. Zu casual, zu leicht, so mein Eindruck. Zumindest in der ersten Version, die Ubisoft öffentlich hat testen lassen, war das nicht nur meine Meinung. Schon jetzt sind viele Waffen „Laser“ und mit ein wenig Übung gut zu handlen.
Doch selbst ein Recoilsystem, das ich nicht wirklich mag, würde ich noch mitmachen. Einen Punkt, an dem ich Rainbow Six aber endgültig den Rücken zukehren würde, wäre ein Zombiemodus. Das hätte nichts mehr mit einem taktischen Shooter zu tun. Klar, ich müsste ihn nicht spielen, aber die pure Existenzmöglichkeit bringt mich schon jetzt an den Rand der Verzweiflung, Verzweiflung über die Fähigkeit der Entwickler. Eher spiele ich den Multiplayer von The Division. Bis dahin aber werde ich es wohl kaum schaffen, Rainbow Six Siege zu entkommen. Zu sehr habe ich es zu „meinem“ Spiel gemacht. Und ja, ich liebe es. Und ich hasse es. Aber das macht wohl gute Spiele aus.