Eigentlich hätte man meinen können, dass das Thema rund um die „Killerspiele“ vorbei sein würde. Wie sehr man sich doch darin täuschen muss.
Die gute alte Killerspieledebatte. Uns hängt sie eigentlich schon längst aus dem Halse raus und man war auch zufrieden, als die Diskussionen darüber irgendwann zu Ende gewesen sind. Seit dem Amoklauf in München geht der tolle „Spaß“ jedoch wieder von vorne los. Wenn die Behörden denn sonst keine Probleme haben…
Ich selbst habe mich schon intensiver mit dem Thema „Killerspiele“ und deren Verbindung zu Amokläufen befasst, zahlreiche Bücher und Statistiken gelesen und kann deswegen sagen, dass ich nicht gerade wenig zu diesem Thema sagen kann. Es wird deswegen umso schwieriger werden die wichtigsten Dinge auf das Nötigste herunterzubrechen. Es ist also wirklich nur ein Abriss aus meinen Arbeiten zu diesem Thema. Du selbst als unser Leser_in wirst vermutlich sowieso schon die meisten Dinge wissen, von denen ich hier berichten werde. Aber vielleicht ist es auch einmal eine gute Idee sie an den selbsternannten Experten weiterzutragen. Ich werde euch am Ende auch ein paar Werke ans Herz legen, die ich bei meiner damaligen Recherchearbeit gelesen habe. Falls einer von euch sich näher mit der Materie befassen möchte.
Gefahr „Medien“
Wenn man einen Blick auf die Geschichte wirft kann man feststellen, dass wirklich jedes neue Medium von der Gesellschaft verteufelt wurde. Angefangen mit den Büchern, wie die Leiden des jungen Werther, die die Leser_innen damals so emotional mitgenommen hatten, dass ein paar dem Beispiel des jungen Mannes folgten und ebenfalls Suizid begannen. Später folgten schließlich das Fernsehen und die Musik, die auch nicht ungestraft davongekommen sind. Das reicht auch bis in die heutige Zeit hin. So hatte Robert Steinhäuser, der einen Amoklauf in Erfurt begannen hatte, zu seinen Lebzeiten nicht nur Videospiele gespielt, sondern auch Filme wie „Predator“ und Fight Club“ gesehen. Zusätzlich wurde von den Printmedien einerseits behauptet, dass die aggressiven Lieder von der Band Slipknot den jungen Mann dazu bewegt hatten die Tat zu begehen. Dazu wurde explizit auch der Titel eines speziellen Liedes, „School Wars“, genannt, der jedoch nie existiert hatte und auf einer reinen Erfindung beruhte. Bei einigen Amokläufen werden häufig Bands genannt, die sich in die Richtungen des Heavy Metal, Gangsta-Raps und Gothic bewegen. Neben Slipknot beschuldigte man deswegen auch die Band Marilyn Manson, die unter anderem auch durch ihren markanten Kleidungsstil regelmäßig Aufsehen erregen. Gerüchten zufolge sollen die Columbine-Täter Harris und Klebold Kleidung im Stile der Band getragen haben. Auch dieses Gerücht konnte im Nachhinein widerlegt werden. Ist schon komisch, oder? Aber es stimmt! Medien sind wirklich gefährlich. Also die Printmedien.
Faszination Gewalt
Musik, Filme und Videospiele haben gewalttätige Inhalte, das wird sicher niemand bestreiten können. Der Grad der Gewalt ist dabei immer sehr unterschiedliche, doch es bewirkt bei vielen Personen dasselbe: Faszination. Auch negative Dinge können faszinieren und die Gewalt zählt nun einmal dazu. Aber wieso ist sie so faszinierend? Ganz nach dem rebellischen Charakter eines Jugendlichen gibt es zum einen die These, dass Jugendliche durch den Konsum gewalttätiger Inhalte eine Abgrenzung zu den Erwachsenen vornehmen können. Okay, um mal aus der unwissenschaftlichen Erfahrung heraus sagen zu können, ist diese These eigentlich Humbug. Es gibt durchaus ältere Spieler, die etwas mit solchen Medien anfangen können. Doch zu der damaligen Zeit hat noch ein ganz anderer Wind geweht.
Spiele, die zudem von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert werden, erhalten durch ihre Verbote einen besonderen Reiz. Bis Mitte 1997 landete in Deutschland ausnahmslos jedes First-Person-Shooter-Spiel wegen übertriebener Gewaltdarstellung auf dem Index für jugendgefährdende Schriften. Dadurch kann der Kontakt zur Mediengewalt jedoch nicht verhindert werden. Die Spieler_innen wissen sich in solchen Situationen selbst zu helfen und verwenden Raubkopien oder erstellen selbst welche. Wer ein Spiel in seiner Reinform und ohne jegliche Veränderungen, die durch die Bundesprüfstelle veranlasst werden, erleben möchte, bestellt den Titel im Ausland. Zwei Punkte also, die die Faszination unter anderem ausmachen.
Warum Videospiele?
Warum werden die „Killerspiele“ für die Taten verantwortlich gemacht? Unsere liebe Bundeskanzlerin würde jetzt vermutlich sagen, dass das „Neuland“ für uns ist – schließlich kann man heutzutage fast nichts ohne das liebe Internet spielen (Client-Zwang, ahoi!). Der große Unterschied zu den anderen Medien ist jedoch dieser, dass man in Videospielen aktiv etwas macht. Bei Filmen und Serien schaut man nur zu, wie sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen, in Büchern muss man seine gesamte Fantasie freien Lauf lassen, aber in Videospielen wird alles interaktiv gestaltet. „Ich als Rezipient kann meinen Charakter dazu bringen Personen zu töten“. So in etwa könnte gut die These eines Experten lauten. Ja, in Videospielen werden Menschen getötet. Pixelmenschen. Die vorher noch nie existiert haben (und die im Multiplayer eh nach zehn Sekunden wieder leben). Das wissen die Spieler_innen selbst auch. Ist es also nicht eher realitätsfern, wenn die sogenannten Experten behaupten, dass dort Menschen getötet werden?
Harte Fakten
Zählen wir einmal die harten Fakten auf. Im Vergleich zum Medium Fernsehen liegen für die Wirksamkeit von Videospielen nur wenige Studien vor, die gleichzeitig unterschiedliche Ergebnisse liefern. Entweder werden Beweise offengelegt, die für oder gegen eine Gewaltförderung sprechen oder es lässt sich keine explizite Wirkungsweise finden. Eine Gemeinsamkeit findet sich lediglich in dem Aspekt, dass Rezipienten von Gewaltmedien beeinflusst werden, wenn sie sich durch psychische oder ähnliche Probleme kennzeichnen. Durch den immer größer werdenden Leistungsdruck in den Schulen, durch Mobbing und andere soziale Schwierigkeiten sehen insbesondere die Jugendlichen in den Videospielen die Möglichkeit, sich von ihren Problemen zu distanzieren und den Stress abzubauen. Vielmehr noch können sie in den virtuellen Welten Macht ausüben, was ihnen aufgrund bestimmter Gegebenheiten im realen Alltag erschwert wird. An dieser Stelle wird das Verstärkermodell wirksam, nach dem die Jugendlichen beispielsweise durch eine schlechte elterliche Erziehung eine Vorprägung in ihrem aggressionstypischen Verhalten aufweisen. Der Konsum gewalthaltiger Medien verstärkt das Verhalten zunehmend.
Eine populistische Aussage der Experten ist zudem diese, dass die Bedrohung aufgrund der realitätsnahen Darstellungen in den „Killerspielen“ so groß ist. Stünde die Aussage dann jedoch nicht im Widerspruch mit den Amokläufern und ihren gespielten Videospielen? Die Industrie hat sich seit 2006 stark entwickelt, sodass einige heutige „Killerspiele“ durchaus mit ihren grafischen Details fast schon real wirken. Demzufolge müssten die Effekte der Videospiele zum jetzigen Zeitpunkt höher sein und vermehrt Amokläufe stattfinden. Auf der Homepage Schoolshooters.info findet sich eine Liste, die alle School Shootings von 1913 bis 2015 beinhaltet. Sie zeigt, dass bis einschließlich 2006 in Deutschland fünf School Shootings stattfanden. Zwei von ihnen (1913, 1964) ereigneten sich noch vor der Etablierung gewalthaltiger Videospiele. Der erste kontroverse Titel war Death Race und erschien 1976. Nach 2006 liegen lediglich zwei bekannte Auseinandersetzungen mit einer Waffe an Schulen vor: Der Amoklauf in Winnenden (März 2009) und einer in Ansbach (September 2009) (Jetzt sind es natürlich drei). In den USA ist die Liste der verübten School Shootings wesentlich länger, was sich vermutlich unter anderem durch das vergleichsweise mindere Waffengesetz erklären lässt. Hier ergaben sich bis einschließlich 2006 67 Attentate an Schulen und Universitäten. Ab 2007 sind 31 weitere bekannt, von denen das Aktuellste am 1. Oktober 2015 erfolgte. Anhand dieser Zahlen lässt sich allerdings nicht festhalten, ob die Wirksamkeit heutiger „Killerspiele“ zugenommen hat. Fakt ist jedoch, dass es schon Amokläufe gegeben hat, bevor „Killerspiele“ den Stand erreichen konnten, den sie heute wahrnehmen dürfen.
Abschließende Worte
Ich könnte noch so viel mehr zu diesem Thema loswerden. Wieso müssen wir wieder in das alte Muster zurückfallen und uns noch einmal rechtfertigen müssen? Ich bin es leid. Videospiele machen nicht aggressiv, sondern die Personen, die denken, dass sie es tun. Nur weil ich Battlefield spiele, besorge ich mir nicht gleich eine Waffe und schieße draußen wild um mich. Was ich allerdings genauso bescheuert finde ist, dass man Counterstrike immer als das Killerspiel schlechthin betitelt. Ehrlich, dort kämpft man gegen Terroristen. Ist das so schlimm? Dann sind wir in der virtuellen Welt zumindest an manch einer Stelle weiter als die meisten Beamten in Deutschland oder anderswo.
Aber die Politik muss natürlich einen Sündenbock finden. Ist doch egal, ob der Junge physische Probleme hatte. Ist doch egal, wenn bei den anderen Amokläufern die Gesellschaft dran Schuld war. Dadurch kann man niemanden zur Rechenschaft ziehen. Also suche ich mir einen Sündenbock, gegen den ich etwas unternehmen kann. Kein Wunder, dass hierzulande die strengsten Regeln hinsichtlich der Indizierung von Videospielen herrschen. Habt ihr super gemacht, ihr da oben. Anstelle sich einmal um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern.
Genauso schnell wird mir schlecht, wenn ich lese, dass in Erwägung gezogen wird Flohmärkte zu kontrollieren, weil dort die „Killerspiele“ verkauft werden (den Bericht dazu gibt es hier). Seit wann sind Videospiele Drogen, die man untereinander verticken muss? Das ist einfach nur ein sehr erbärmlicher Schritt in eine Richtung, die alles wieder an die Steinzeit erinnern lässt. Es gibt Dinge, die sich ändern, aber wenn es um gesellschaftskritische und politische Diskussionen geht, existiert ein „aus Fehlern lernen“ einfach nicht. Das erlebt man jeden Tag aufs Neue. Aber mir soll das egal sein. Ich weiß, dass ich nicht zu einem Amokläufer mutiere. Ich werde jetzt einfach online gehen und weiterhin Battlefield und Rainbow Six Siege spielen.
Zum Abschluss wie versprochen noch einige literarische Werke, die mich begleitet haben:
Arsenault, Dominic (2008): The Video Games as an Object of Controversy. In: Wolf, Mark J.P. (Hrsg.): The Video Game Explosion: A History from PONG to Playstation and Beyond. Greenwood Publishing Group: Connecticut.
Batinic, Bernad / Appel, Markus (Hrsg.) (2008): Medienpsychologie. Springer Medizin Verlag: Heidelberg.
Ernst, Tilman / Fehr, Wolfgang / Fritz, Jürgen / Hiegemann, Susanne (1993): Computerspiele. Bunte Welt im grauen Alltag. Bundeszentrale für politische Bildung: Bonn.
Freud, Sigmund (1947): Der Dichter und das Phantasieren. Gesammelte Werke 1906-1909. Fischer Verlag: Frankfurt am Main.
Gieselmann, Hartmut (2002): Der virtuelle Krieg. Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel. Offizin-Verlag: Hannover.
Kanz, Kristina-Maria / Boers, Klaus & Reinecke, Jost (Hrsg.) (2014): Medienkonsum und Delinquenz. Panelanalysen zu den Wirkungen des Gewaltmedienkonsums von Jugendlichen. Band 12. Waxmann Verlag GmbH: Münster.
Kunczik, Michael (2013): Gewalt – Medien – Sucht: Computerspiele. Lit Verlag: Berlin.
Lackner, Thomas (2014): Computerspiel und Lebenswelt. Kulturanthropologische Perspektiven. transcript Verlag: Bielefeld.
Langman, Peter (2016): A Timeline of School Shootings Version 1.20, in: schoolshooters.info. https://schoolshooters.info/sites/default/files/timeline_school_shootings_1.20.pdf.
Meister, Dorothee M / Sander, Uwe / Treumann, Klaus Peter / Burkatzki, Eckhard / Hagedorn, Jörn / Strotmann, Mareike / Wegener, Claudia (2008): Mediale Gewalt: Ihre Rezeption, Wahrnehmung und Bewertung durch Jugendliche. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.
Robertz, Frank J. / Wickenhäuser, Ruben Philipp (2010): Der Riss in der Tafel: Amoklauf und schwere Gewalt in der Schule. 2. Auflage. Springer Verlag: Berlin.